Freitag, Juni 24, 2016

Interreligiöser Rundbrief Nr. 2016-03



Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2016-03 (24.06.2016)
„Warne … die Geliebten des einen wahren Gottes davor, die Reden und Schriften der Menschen mit einem zu kritischen Auge zu betrachten. Sie sollen sich diesen Reden und Schriften lieber im Geiste der Aufgeschlossenheit und liebevollen Wohlgesonnenheit zuwenden.“
Bahá‘u‘lláh[1]

Liebe Leser*innen,
neulich sagte mir ein mir sehr nahe stehender Empfänger der interreligiösen Rundbriefe, diese lese er gar nicht gerne, denn sie seien ihm zu wissenschaftlich. Das erinnert mich daran, dass ich in den 1990ern mal einen Artikel für die Lotusblätter, schrieb, wie die Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union, die heutige Buddhismus aktuell, damals hieß und dazu zwei ganz unterschiedliche Rückmeldungen erhielt: Einer Leserin war er zu schwer verständlich, während ein Leser ihn als schön leicht verständlich beurteilte. Die Leserin hatte nun weder mit Religionswissenschaft, noch mit Buddhismus zu tun, während der Leser ein Religionswissenschaftler war. Insofern ist es natürlich leicht verständlich, wie es zu diesen unterschiedlichen Urteilen kam. Ich finde es aber auch sehr schwer, so zu schreiben, dass der Text weder zu wissenschaftlich, noch zu unwissenschaftlich wird, so dass ihn Fachleute und Nichtfachleute, die ja zumeist Fachleute auf anderen Gebieten sind, verstehen können und gerne lesen. Besagter Leser, dem meine Texte zu wissenschaftlich sind, schickt mir manchmal detaillierte technische Erklärungen zum Beispiel zu Fotoapparaten, dass ich nur so mit den Ohren schlackere.

Nun möchte ich Euch/Sie (ich bleibe künftig mal beim „Euch“ und „Ihr“), liebe Leser*innen, um Hilfe bitten, indem Ihr mir mitteilt, was Euch an den interreligiösen Rundbriefen gefällt und was nicht. Ich werde es nie allen recht machen können, denen, die am liebsten klare religiöse Bekenntnisse und Positionen, denen, die am liebsten beschauliche, spannende oder lustige Geschichten, denen, die am liebsten Daten und Fakten, denen, die am liebsten tiefgründige philosophische Reflexionen, denen, die am liebsten eine große wissenschaftliche Distanz zu religiösen Wahrheitsaussagen und denen, die sonst irgendwie speziell gestaltete Texte lesen möchten, aber ich kann zumindest darüber nachdenken und sehen, was sich machen lässt. Ansonsten bitte ich um eine Lektüre „im Geiste der Aufgeschlossenheit und liebevollen Wohlgesonnenheit“, wie es im oben angeführten Zitat empfohlen wird.

Mein Ziel ist es schon, nicht oberflächlich daher zu plätschern, sondern gründliches Nachdenken zu praktizieren, mein Fach, die Religionswissenschaft, mit einzubeziehen, aber die Grenzen zu Theologie und Philosophie als Orientierungswissenschaften auch hier und da zu überschreiten und dabei das alles so verständlich wie möglich zu schreiben. Mein Opa würde sagen: „Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist“, wobei er das auf Vallerer Platt, also der Vallendarer Version des Moselfränkischen zu sagen pflegte. Eigentlich tue ich nichts anderes, wenn ich schreibe, auch wenn mein Schnabel leider zu wenig moselfränkisch und zu sehr standarddeutsch gewachsen ist, aber das Wichtigste ist, verständlich zu sein, sonst kann ich auch für die Schublade schreiben. Ich bitte also um konstruktiv-kritische Rückmeldungen.     

Jetzt möchte ich mal von zwei erfreulichen Dingen berichten, also nicht von Terrorismus, Radikalismus und so weiter. Ich bin ja ein großer Freund von Vernetzungen, und von zwei neuen Netzwerken in Bonn darf ich erzählen, nämlich zum einen vom Interreligiösen Friedensnetzwerk Bonn und Region (IFN) und vom Netzwerk Buddhismus in Bonn.

Das Interreligiösen Friedensnetzwerk Bonn und Region (IFN) hat sich nach einiger Vorgeschichte am 7.3.2016 konstituiert. Die Idee geht auf das Jahr 2013 zurück, als im Rahmen der Bonner Buchmesse Migration ein interreligiöses Podiumsgespräch stattfand und gleichzeitig der Arbeitskreis Muslime und Christen im Bonner Norden (AK MuChri) sein zehnjähriges Bestehen feierte und nicht wenige Interessierte sich entscheiden mussten, wo sie denn hingehen sollten oder sich zeitlich auf beides aufteilten. Ich dachte mir, es sei doch besser, wenn die interreligiösen Akteure in Bonn voneinander wüssten, wann wer was vorhat, so dass man einen neuen Termin nicht auf den Tag legt, an dem mit gleicher Zielgruppe schon etwas stattfindet. Im Grunde war die Idee schon etwas älter, ich hatte sie 2012 schon mal im Bonner Institut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen (BIM) vorgestellt, aber nach diesem Erlebnis war die Dringlichkeit deutlich. Also versuchte ich, die interreligiös tätigen Organisationen davon zu überzeugen, sich miteinander zu vernetzen, damit Terminüberschneidungen künftig möglichst vermieden werden. Gedacht, getan – gewartet. Meine Idee stieß zunächst auf verhaltendes Gegeninteresse, ich wartete auf eine Einladung, sie vorstellen zu können, und so verging nochmal über ein Jahr, ohne dass sich was tat. Anfang 2015 kam David Clement auf mich zu. Er ist auch Religionswissenschaftler, sowie Pädagoge und Gründungsmitglied des ANQA – Vereins für Transkulturelle Bildung e.V. Er hatte unabhängig von mir eine ganz ähnliche Idee, dachte aber nicht nur an eine Vermeidung von Terminüberschneidungen, sondern durchaus an eine engere Zusammenarbeit der interreligiösen Akteure. Also trafen wir uns zusammen mit Hossein Pur-Khassalian, Aziz Fooladvand und Gregor Sattler, besprachen die Idee weiter und beschlossen, auf keine Einladung mehr zu warten, sondern unsererseits einzuladen. Und siehe da: Am 6.3.2016 kamen Vetreter*innen von 17 interreligiös tätigen Initiativen und Organisationen oder ließen sich zumindest entschuldigen, zeigten aber Interesse. Ein zuvor geschriebenes Leitbild wurde besprochen und in den anschließenden Wochen noch überarbeitet und per E-Mail diskutiert. Letztlich waren es doch noch nicht alle 17, aber immerhin 14, die das Leitbild unterzeichneten. Die anderen drei sind noch in internen Beratungen. David Clement hatte auch ein Content-Management-System aufgetan, mit dem wir ohne großen Aufwand eine Internetseite kreieren und ins Netz stellen konnten. Und so ist die Idee eines Netzwerkes der interreligiösen Akteure in Bonn und Umgebung endlich realisiert. Weitere Informationen entnehmt bitte der Website http://ifn-bonnregion.jimdo.com/ und/oder kommt zu unserem Vorstellungstermin am 29.9.2016, um 19 Uhr im MIGRApolis-Haus der Vielfalt in Bonn.

Das Netzwerk Buddhismus in Bonn hat eine viel längere Vorgeschichte. Im Jahr 2000 stellte ich meine Magisterarbeit „Buddhismus in Bonn. Empirische Studie über buddhistisch orientierte Gemeinschaften in Bonn“ fertig und hatte dabei die Idee, einmal Vertreter*innen aller in der Studie erforschten 14 Gemeinschaften zu einem Treffen einzuladen. Das tat ich dann auch am 27.9.1999 im damaligen Shambhala-Zentrum. Es leisteten aber nur sieben Gruppen der Einladung folge, deren eine, die Zen-Gruppe, in der ich damals selber praktizierte, ich sogar selbst vertrat, weil sich sonst niemand dafür interessierte. Das Treffen war nett und interessant, aber weiteres ergab sich daraus nicht. Werner Wiegmann startete dann auch zweimal einen ähnlichen Versuch ohne bleibende Folgen. 2014 kam Barbelies Wiegmann, Zen-Praktizierende in der Gruppe ihres Mannes Werner Wiegmann, auf mich zu und fragte, ob ich noch Adressen von meiner Magisterarbeit hätte und sie dabei unterstützen würde, einmal Vertreter*innen aller buddhistischen Gruppen einzuladen, um diese miteinander bekannt zu machen und zu vernetzen. Da war ich sofort dabei, gab ihr die Adressen, wir recherchierten nach Adressen neu hinzu gekommener Gruppen, derweil es auch einige der damaligen nicht mehr gibt, und die Einladung ging raus. Und tatsächlich kamen Mitglieder von elf Gruppen am 9.4.2016 im MIGRApolis-Haus zusammen. Einige kannten einander, andere waren sich fremd, einige schienen einander sogar exotisch zu sein, was angesichts der Vielfalt der Traditionsanbindungen und Praktiken auch kein Wunder ist. Theravada-, Zen-, Nichiren- und Vajrayana-Buddhismus haben bisweilen nur den Bezug zum historischen Buddha Siddhartha Gautama gemeinsam, interpretieren diesen aber recht unterschiedlich. Aber die Chemie stimmte, man interessierte sich für einander und begeisterte sich für Barbelies Wiegmanns Idee, den Buddhismus gemeinsam in der Bundesstadt präsenter und bekannter zu machen. Verabredet wurde ein gemeinsamer Web-Auftritt, den ich inzwischen auf MIGRApolis realisiert habe (http://www.migrapolis-deutschland.de/index.php?id=2795&L=%25252523c2294), Filmabende in Kinos mit buddhistischen Filmen und 2017 eine gemeinsame Vesakh-Feier oder ein Sommerfest. Das Netzwerk hat übrigens noch gar keinen offiziell vereinbarten Namen, so dass Netzwerk Buddhismus in Bonn quasi ein Arbeitstitel ist, der sich auch noch ändern kann.

Manche Dinge brauchen eben einen längeren Vorlauf und einen langen Atem und demzufolge die richtige Mischung aus Zielstrebigkeit und Gleichmut, dann kann was aus ihnen werden!       

Diese beiden Geschichten sollen einmal zeigen, dass Religionen und religiöse oder spirituelle Menschen nicht nur Grund zu Sorge bieten, dass von Ihnen nicht nur Rechthaberei und Feindschaft ausgehen, wie die Nachrichten einen manchmal glauben lassen, sondern dass sie auch aufeinander zugehen, einander respektieren und gemeinsam auf friedlichem Wege Gesellschaft mitgestalten können. Was aus den beiden Netzwerken in Zukunft wird, wird sich zeigen. Es hängt von uns ab, den Mitgliedern der Netzwerke, aber auch allen anderen Menschen in unserer gemeinsamen Gesellschaft.
 

Vor dem Abschlusszitat habe ich noch eine Nachricht: Dr. Hıdır Çelik bekam am 22.6.2016 das Bundesverdienstkreuz am Bande überreicht. Mehr dazu hier: http://www.migrapolis-deutschland.de/index.php?id=2796  Ich gratuliere von Herzen!


Und noch ein Zitat:
„Religion, egal welcher Couleur, ist ein Auslaufmodell – da war sich das 20. Jahrhundert ganz sicher. Vor allem der Fortschritt der Naturwissenschaften mit der Evolutionsbiologie an vorderster Stelle hatte Gott nicht nur entthront und obsolet gemacht, sondern ließ Religion als geradezu unsinnig erscheinen. Nicht anders dachten die Sozialwissenschaften, die davon ausgingen, dass Religion sich gegenüber der Wissenschaft nicht würde behaupten können und daher über kurz oder lang bis zur Bedeutungslosigkeit verblassen würde. Die tatsächlichen Entwicklungen gerade in den letzten Jahrzehnten zeigte jedoch völlig überraschend, dass Religion eine Renaissance erlebte und zu einem entscheidenden sozialen und politischen Faktor wurde, und dies allen modernen Erkenntnisfortschritten und allen rationalen Argumenten der Religionskritik zum Trotz.“[2]

In diesem Sinne, lasst uns zukunfts- und transzendenzoffen bleiben!

Herzliche Grüße aus Siegburg am Johannistag 2016.
Euer Michael A. Schmiedel


[1] Bahá’u’lláh. Ährenlese 34:6, hier zitiert nach: Internationale Bahá’í-Gemeinde. Büro für Öffentlichkeitsarbeit. New York. Bahá’u’lláh. Eine Einführung. Hofheim-Langenhain (Bahá’í-Verlag), 4. Aufl. 1997, S. 43.
2 Ina Wunn. Patrick Urban Constantin Klein. Gott Gene Genesis. Die Biologie der Religionsentstehung. Berlin Heidelberg (Springer) 2015, S. V.

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heutige Musikempfehlungen:
Nolwenn Leroy chante le Bro gozh ma zadoù au stade de France avant la finale Rennes-Guinguamp
https://www.youtube.com/watch?v=DzckoZ3v_gQ
Flook & Crosswind - 'Branohm / Trip To Herve's'
https://www.youtube.com/watch?v=2YGOZYN015Q
OUM TARAGALTE - (Soul Of Morocco) Official Video
https://www.youtube.com/watch?v=297klwcKKmI



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Dr. Michael A. Schmiedel
Altere Texte (Auswahl):






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Lust auf mehr Musik?
Samy Deluxe - Haus am Mehr
https://www.youtube.com/watch?v=Ws--wNaa-NQ 
Cassard - Wie schön blüht uns der Maien
https://www.youtube.com/watch?v=f49Dqye9RoU
Hüsch! - Songs Of Heimat

https://www.youtube.com/watch?v=DfZYoRaAO_s
Hot Griselda - The Empress' new clothes

https://www.youtube.com/watch?v=2JLlf2PvqJA
Akkordeonale 2016
http://www.akkordeonale.de/programm/programm-2016/
Marcel Adam - De Oschderhaas
https://www.youtube.com/watch?v=e5nn_ocah30
L'alba - " sta mane "
https://www.youtube.com/watch?v=E9Ote3hejqU
Lisa Jên (9Bach) - Lliwiau
https://www.youtube.com/watch?v=vA6kqH-bTuE
Blowzabella - recording in France 2013
https://www.youtube.com/watch?v=YhfrhJWR_AE
Irish Spring 2016 - Festival of Irish Folk Music TOUR – Preview
https://www.youtube.com/watch?v=zWZck_s1I4E






[1] Bahá’u’llah. Ährenlese 34:6, hier zitiert nach: Internationale Bahá’í-Gemeinde. Büro für Öffentlichkeitsarbeit. New York. Bahá’u’lláh. Eine Einführung. Hofheim-Langenhain (Bahá’í-Verlag), 4. Aufl. 1997, S. 43.
[2] Ina Wunn. Patrick Urban Constantin Klein. Gott Gene Genesis. Die Biologie der Religionsentstehung. Berlin Heidelberg (Springer) 2015, S. V.