Dienstag, Februar 07, 2006

Interreligiöser Rundbrief Nr. 118 - 3. Nachtrag

Interreligiöser Rundbrief für Köln / Bonn und Umgebung Nr. 188 – 3. Nachtrag
(7.2.2006)

Liebe Leserinnen und Leser,

da ich ja heute Abend keinen Vortrag halte, kann ich die Zeit auch anders gemeinnützig verwenden und Sie/Euch auf zwei Termine hinweisen, sowie ein paar Gedanken um den derzeitigen Streit wegen der Muhammad-Karikaturen formulieren.


Zunächst die beiden Termine:

1.) Meinen wegen mangelnder Teilnehmerzahl im Januar ausgefallener Vortrag über Buddhismus und Gewalt werde ich am 30. März 2006 noch einmal anbieten, in der Hoffnung, doch ein paar Leute dafür zu interessieren. Eine kritische Auseinandersetzung mit der doch weit verbreiteten idealisierten Vorstellung der buddhistischen Religionsgeschichte tut meines Erachtens auch praktizierenden Buddhisten und Buddhismus-Sympathisanten gut, ein Kreis, zu dem ich ja auch gehöre, wenn wir ehrlich mit uns umgehen wollen. Ich halte Selbstkritik und Relativierung liebgewonnener Vorstellungen für eine Tugend auf dem Weg geistigen Fortschritts.

Hier ist der Termin:
"Buddhismus und Gewalt", Do 30.03.2006, StadtRaum Köln
Do., 30.03.2006 StadtRaum Köln „Buddhismus und Gewalt“Während sich die Geschichte und auch die Gegenwart der monotheistischen Weltreligionen nicht selten als gewaltbelastet darstellt, scheint der Buddhismus immun gegen dieses Phänomen zu sein. Der Vortrag mit anschließender Diskussionsmöglichkeit fragt nach faktischer Gewalt und dem Ideal der Gewaltlosigkeit innerhalb der buddhistischen Kulturen. Dabei wird an Fallbeispielen zu zeigen sein, dass auch die zweieinhalbtausendjährige Kulturgeschichte des Buddhismus nicht frei ist von religiös legitimierter Gewalt.19.30 Uhr5/6 EURO ohne AnmeldungStadtRaum, Moltkestraße 79, 50674 Kölnhttp://www.stadtraum.de/


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2.) Das las ich gestern Abend zufällig auf einem Plakat in der KHG Bonn:

Eine Theologie der Integration
Disputation aus christlicher und islamischer Sicht
mit
Prof. Dr. Muhammad Kalisch (der einzige Prof. für islamische Theologie in Deutschland an der Uni Münster)
und
Dr. Klaus Leffringhausen (er war lange Beauftragter der NRW-Landesregierung für die Beziehungen zum Islam)
Mo 20.2.2006, 19 Uhr
Haus der Evangelischen Kirche, Adenauerallee 37, Bonn
Teilnahmebeitrag: 5,- €
Veranstalter: Katholisches Bildungswerk Bonn, Evangelisches Forum Bonn, Annemarie-Schimmel-Forum

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3.) Ein paar Gedanken zu dem Disput über die Muhammad-Karikaturen

Im September 2005, als die Karikaturen erstmals in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten erschienen, habe ich davon gar nichts mitgekriegt, sondern erst jetzt, also letzte Woche, und seit dem sind Fernsehen, Radio, Zeitungen, Internet usw. voll davon. Ich schreibe hier weniger als Wissenschaftler, als einfach als Mensch, und gebe meine subjektiven Eindrücke wieder.

Zunächst dachte ich: Wie kann man nur Muhammad mit einer Bombe im Turban darstellen? Das läuft ja allem zuwider, wofür ich seit Jahren eintrete, nämlich die Religion des Islams generell und konkrete Ereignisse der letzten Jahre auseinander zu halten. Sicher hat Muhammad Gewalt angewendet, und die Terroristen von heute berufen sich eben darauf, aber wenn man als Nichtmuslim einfach von einzelnen Koranversen oder Überlieferungen von Aussprüchen des Propheten eindeutige Handlungsanleitungen für heute ableitet, macht man den selben Fehler, den die Islamisten begehen. Mit anderen Worten: Nur weil Terroristen im Namen Gottes und des Propheten morden, heißt das noch lange nicht, dass der Prophet oder Gott selber tatsächlich so etwas angeordnet hat und es heißt auch noch lange nicht, dass alle oder auch nur viele Muslime ihre Religion so interpretieren, wie Terroristen das tun. Und wenn ein Journalist oder ein Karikaturist so etwas behauptet, begeht er im harmlosesten Fall eine Dummheit, im schlimmsten Fall eine Volksverhetzung. Gegen so eine Darstellung darf man protestieren! Das dachte ich und denke es noch immer.

Auf welche Weise dann aber protestiert wurde und weiterhin wird, verwunderte mich nun doch wieder. Dänische Botschaften und Armeecamps wurden angegriffen, eine Puppe des dänischen Ministerpräsidenten verbrannt, dänische Flaggen ohnehin, desgleichen geschah mit norwegischen und französischen Einrichtungen, da die Karikaturen dort neuerdings auch noch in Zeitungen veröffentlicht wurden. Einige muslimische Staaten haben die diplomatischen Verbindungen abgebrochen und zum Wirtschaftsboykott aufgerufen, und verlangen von der dänischen Regierung eine Bestrafung des Karikaturisten. So viel Aufhebens wegen einer Dummheit? Bestrafung von Menschen, die mit dem Karikaturisten und den Zeitungen gar nichts zu tun haben, außer dass sie die selbe Nationalität besitzen? Schreiende, brüllende Massen wegen ein paar Zeichnungen? Mehrere tote Demonstranten bisher? Was treibt die Leute nur so auf die Palme? Weder ließ sich das dänische Volk durch die Zeichnungen aufhetzen, noch ging von Dänemark irgendeine Gefahr aus, und die Jyllands-Posten hat längst um Entschuldigung gebeten. Mir persönlich sind solche emotionalen Ausbrüche total fremd. Ich empfinde sie als ein Mangel an Selbstbeherrschung oder an innerem Frieden, den eine tief empfundene Religiosität doch bewirken können müsste.

Ich denke es gibt zwei Begründungsschienen: Erstens fühlen sich viele Muslime in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Viele von ihnen sehen schon eine normale Abbildung des Propheten als Sakrileg an, und eine satirische erst recht, halten sich ihrerseits mit beschimpfenden Äußerungen gegenüber Symbolen auch anderer Religionen sehr zurück und fordern selbiges von Andersgläubigen auch. Und da religiöse Gefühle, religiöse Vorstellungen und religiöse Orientierung eng miteinander verknüpft sind, ist eine Verletzung von Gefühlen und Vorstellungen für viele gleichzusetzen mit einer Gefährdung der Orientierung. Was einem Menschen heilig ist, das verteidigt er gegen Beschimpfungen und Herabwürdigungen. Und wenn es sich dazu noch um kollektive Symbole als Garanten kollektiver Orientierung handelt, dann kann so eine Beleidigung für schlimmer als Mord erachtet werden. Auch im frühen Buddhismus galt eine Beleidigung des Buddha als schlimmeres Vergehen als die Ermordung eines Menschen.

Zweitens aber scheinen mir hier politische Interessen sehr stark mit hinein zu spielen. Wenn die saudische Regierung behauptet, die Karikaturen seien so schlimm wir die Apartheid in Süd-Afrika und ein Boykott Dänemarks deshalb genau so gerechtfertigt wie der damalige Boykott Süd-Afrikas durch die EU und wenn die iranische Regierung gar die Beleidigung durch diese Zeichnungen auf eine Stufe stellt mit der volksverhetzenden Wirkung von Karikaturen über den Holocaust und deshalb nun ihrerseits zu einem Wettbewerb im Holocaust-Karikieren aufruft, dann hat das meines Erachtens mit spontanen religiösen Gefühlen wenig zu tun. Es scheint eher so, als hätten diese und andere Regierungen, z.B. die syrische, nur darauf gewartet, einen Anlass zu finden, um ihre Bevölkerung gegen den Westen, das Judentum, Israel und ... ach ja da war ja auch noch Dänemark, auf die Straßen zu rufen. Wenn einer Volksverhetzung betreibt, dann sind das diese Regierungen und sonstigen Organisationen, die die Menschen aufstacheln und zur Gewalt aufrufen. Man könnte friedlich demonstrieren, aber das ist nicht in deren politischem Interesse. Ein Journalist in Syrien wurde gar verhaftet, weil er öffentlich überlegte, ob diese Karikaturen oder Terrorismus schlimmer sei.

Sicher trägt auch jeder dafür die Verantwortung, ob er sich verführen lässt oder nicht, aber viele Bewohner dieser Länder haben nicht viel Ahnung davon, wie es in Europa so vor sich geht, welchen Stellenwert Karikaturen haben, was Pressefreiheit ist und warum eine europäische Regierung keine Verantwortung für die Inhalte von Zeitungen hat. Ihnen kann man da viel erzählen, ähnlich wie man hier den Leuten viel über die muslimischen Länder erzählen kann. Durch die höhere Analphabetisierungsrate ist es dort noch etwas schlimmer. Viele sind zudem seit Jahren ideologisiert gegen den Westen, den sie für kolonialistisch, unmoralisch, macht und geldgierig usw. halten, woran einiges an realexistierender europäischer und amerikanischer Politik und Wirtschaft nicht unschuldig ist. Das alles mit hinein gerechnet, denke ich, die Agitatoren, die mit diesen Krawallen bestimmte politische Ziele verfolgen, sind die Hauptverantwortlichen für diese Eskalation. Ich weiß nicht, ob bisher fünf oder mehr Menschen dabei ums Leben kamen, aber jeder einzelne ist einer zu viel!

Ich begrüße sehr, dass die muslimischen Äußerungen, die ich aus Deutschland mitbekam, zwar zur Demonstration gegen die Karikaturen aufriefen, aber Gewalt als das falsche Vorgehen beurteilten. Ich begrüße auch sehr, dass in den Zeitungen sehr unterschiedliche Stellungnahmen zu lesen sind, das beweist nämlich auch unsere Pressefreiheit. Wir müssen auf jeden Fall dafür Sorge tragen, nicht auf den Leim irgendwelcher Agitatoren zu gehen und uns für ihre politischen oder ideologischen Ziele missbrauchen zu lassen. Sie machen vor ihrer eigenen Religion nicht halt, ihnen ist nichts heilig, weder Gott noch die Menschen. Mit „wir“ meine ich uns alle, egal ob wir Muslime, Christen, Buddhisten, Humanisten, Atheisten oder was auch immer sind, Menschen eben. Mein Zen-Lehrer meinte gestern, viele Menschen verwechseln ihre Vorstellungen von etwas mit dem Absoluten selbst. Über die gleichzeitige Notwendigkeit und Gefahr von Vorstellungen denke ich oft nach, aber für heute soll es genug sein.

Pressemeldungen zum Thema gibt es z.B. hier:

Stern online: http://tinyurl.com/c5sl5
und
The Middle East Media Research Institute: http://tinyurl.com/8a7yd
und
Spiegel online: http://tinyurl.com/8gsb8


Mit herzlichen und friedlichen Grüßen,

Ihr/Euer Michael A. Schmiedel